Griechenland vor den Wahlen – Gesetze als Rechtfertigung fürs Nichtstun
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1. Das organisierte Gebrechen
2. Der Staat als Hauptarbeitgeber
3. Gesetze als Rechtfertigung fürs Nichtstun
Und wo ist das Gemeinwohl geblieben? "Gemeinwohl? So etwas kennen wir hier nicht", sagt der Schriftsteller Dionysis Charitopoulos. "Auch die Bürger kümmert nur mehr ihr privates Überleben." Das Volk ist Komplize. Arbeitet schwarz. Baut illegal im Wald und erwartet, dass der Staat am nächsten Tag Strom und Wasser liefert. Und der Staat liefert. Bis heute ermutigen Gesetzeslücken die Brandstifter geradezu, den Wald in Asche zu legen, damit daraus neue Villen erwachsen.
Nicht fehlende Gesetze jedoch seien das Problem, sagt Anwalt Tsevas. Im Gegenteil, hier stürze sich die Regierung geradezu besessen ins Gesetzemachen – "damit sie nicht handeln muss." Tsevas ringt sich ein trockenes Lachen ab. "Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass aus Griechenland noch ein Rechtsstaat wird."
14 Uhr 50: Das Handy klingelt. Ein Athener Unternehmer. Er braucht eine Baugenehmigung, bietet Chaitidis 3600 Euro für "etwas Hilfe" an. Chaitidis bricht das Gespräch ab. Er ist seit 26 Jahren Beamter, verdient 1200 Euro im Monat. Damit zählt er zu den Besserverdienenden. Aber andere Beamte haben sich millionenteure Villen gebaut, fahren BMW. Chaitidis lebt mit seiner Familie im Haus des verstorbenen Vaters und fährt den alten Ford.
Schmiergeld nennt man in Griechenland Spende
"Hätte mein Vater je erfahren, dass ich Schmiergeld nehme, er hätte mich keines Blickes mehr gewürdigt." Und die täglichen Rusfeti? Hat er nicht selbst gesagt, in der Woche läpperten sich so 200 bis 250 Freundschaftsdienste zusammen? "Das gehört zum Geschäft. Wenn ich mich hier auskopple, würde mich nicht nur lächerlich, sondern auch unglaubwürdig machen." Später wird er dem Unternehmer eine Spende für die Kinderhilfsstiftung der Gemeinde vorschlagen.
"Ein Land geboren aus Zorn". So sieht es der Autor und Verleger Aris Maragopoulos. Er bestellt einen Kaffee, setzt an und holt erst eine Stunde später wieder Luft: "Wir hatten einen Bürgerkrieg, später, bis 1974, die Militärdiktatur. Dieses Erbe drückt noch heute unserem Leben den Stempel auf. Das Land ist gefangen in Ideologien. Links oder Rechts, Freund oder Feind.
Die Zielscheibe der Griechen ist der Staat. Und ihre Religion ist der Zorn. Deshalb sehen sie sich immer im Recht, egal wie sehr sie dem Gemeinwohl schaden. Wie es um das Land bestellt ist? Schau’ dir unseren Bauernsalat an. Hier gibt es die aromatischsten Tomaten und Gurken, den besten Fetakäse. Und was machen sie daraus in unseren Tavernen? Schmeißen es auf den Teller als sei es Abfall und gießen schlechtes Olivenöl darüber. Die Menschen glauben nicht mehr an sich."
Nur das Netzwerk zählt
15 Uhr 35: Im Nachbarort treffen sich zwanzig Bürgermeister, alle von der Nea Dimokratia. Parteichef Karamanlis kommt nach Saloniki. Sie brauchen Omnibusse für ihre Gemeindemitglieder. Chaitidis telefoniert mit einem befreundeten Reisebusveranstalter und überredet ihn, drei Busse zur Verfügung zu stellen. Das Gespräch dauert keine 30 Sekunden, über einen Preis wurde nicht gesprochen.
Im Dezember 2008 stockte dem Land der Atem. Diesmal brannte die Hauptstadt. Auf den Straßen die Jugend, die ihren Zorn und ihre Verzweiflung herausbrüllte. Zorn über 30 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, über Löhne von 700 Euro in einer Stadt teurer als München, über die Demütigung, dass nicht Eifer, Leistung oder Intelligenz zählen, sondern allein die Netzwerke der Rusfeti. "Das gibt mir Hoffnung", sagt der Dichter und Musiker Giannis Aggelakas: "Zum ersten Mal reagiert eine Generation auf den Verfall des Systems."
Die Jungen, glaubt auch Aris Maragopoulos, verstünden den Ernst der Lage, anders als ihre Eltern. "Aus dem Instinkt heraus. Da gärt etwas." Wann also dürfen wir mit dem ersten Blinzeln des Komapatienten rechnen? Der Komiker: "In zwei Jahren." Der Verleger: "In fünf bis zehn Jahren." Der Rechtsanwalt: "In 100 Jahren. Bei den nächsten Olympischen Spielen in Athen."
18 Uhr 30: Auf der Fahrt nach Hause. Das Handy klingelt. Am anderen Ende meldet sich ein junger Mann, der nun monatlich 500 Euro EU-Fördermittel erhalten wird. Der Mann bedankt sich bei Chaitidis für den "Praktikumsplatz". Seine Stimme habe er. Der Bürgermeister schaut zufrieden.