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«Keiner von den Räubern ist je ins Gefängnis gegangen»
Von Kai Strittmatter.
Die Wut auf die Regierung ist gross. Ein Demonstrationsbesuch.Jeder erwarte die Revolution, zumindest eine Explosion, hatte zuvor noch eine der Demonstrantinnen im Zug des Linksbündnisses Syriza gesagt, «und jeder wundert sich, warum sie noch nicht passiert ist». Da waren Zehntausende von Menschen unterwegs zum Syntagma-Platz, ins Herz von Athen, wo die Protestzüge sich sammeln wollten. Dann verabschiedete sie sich, wollte nach Hause: «Ich habe das Gefühl, ganz Griechenland ist heute hier. Aber ich habe auch Angst. Als ob die Explosion bevorstünde.» Nur eine Stunde später waren drei Menschen tot. Verbrannt in der Filiale einer Bank am Omonia-Platz, auf die vermummte Randalierer Molotowcocktails geworfen hatten.
War das die Explosion? Wenn es eine war, dann war es keine des Volkszorns, sondern eine der Dummheit und der Menschenverachtung. Autonome Randalierer, meist aus dem Stadtviertel Exarchia, tummeln sich im Windschatten jeder Demonstration in Athen. Ihr grösster Coup waren bislang jene Dezembernächte im Jahr 2008, als sie Athen in Brand steckten. Menschen aber hatten die Vermummten nie getötet. Bis gestern. Augenzeugen berichten, die Autonomen hätten die Feuerwehrleute bei der Ankunft angegriffen und am Löschen gehindert.
Normaler Tagesablauf
Dabei begann der Tag so ruhig. Das Land lahmgelegt? Gut, die Flüge fielen aus und die Ärzte machten nur Notdienst. Wer aber nicht krank war, und wer nicht ins Ausland wollte, der konnte sich an diesem Mittwoch halbwegs bequem durch Athen schlängeln. Die meisten Cafés und Restaurants hatten Tische auf die Gehsteige gestellt, die meisten Läden empfingen wie gewöhnlich Kunden, und Taxis und U-Bahnen wechselten sich ab mit dem Transport der Passagiere: Erst streikten die Fahrer der U-Bahnen, ab zehn dann die der Taxis. Ein paar Schritte von den Megafonen des kommunistischen Trupps entfernt verkauften fliegende Händler aus Afrika wie jeden Tag ihre gefälschten Gucci-Handtaschen und Rolex-Uhren.Rund 30’000 Menschen sollen der Polizei zufolge an den Demos in Athen teilgenommen haben. Die Angst und der Zorn, sie waren gross bei den Marschierenden. «Wir werden die Verlorenen sein», sagt ein Student der Polytechnischen Hochschule. «Wenn wir den Abschluss machen, bekommen wir keine Jobs oder aber flexible Verträge, die alle Arbeiterrechte zunichte machen, die hier in 100 Jahren erkämpft wurden.» Viele fühlen sich betrogen. Zoe M. ist eine auf Vertragsbasis angestellte Lehrerin. Sie arbeitet seit sechs Jahren für einen Lohn von 350 Euro im Monat, immer in der Hoffnung auf die Festanstellung, die der Staat ihr versprochen hat. Nun hat sie erfahren: Erstens wird ihr Lohn gekürzt. Und zweitens fällt wohl bald ihre Stelle weg. «Es gibt ein starkes Gefühl der Ungerechtigkeit», sagt sie: «Keiner von den Räubern, die uns in diese Lage gebracht haben, ist je ins Gefängnis gegangen.»
Unbeliebte Gewerkschaften
Solche Sätze hört man dieser Tage überall in Athen. Und dennoch lasse man sich von den Bildern der Demozüge nicht täuschen: «Hier demonstriert nicht Griechenland», sagt einer, «hier demonstriert der öffentliche Dienst.» Warum die anderen nicht dazustiessen? Weil sich der Zorn der Mehrheit nicht nur gegen EU und IWF richtet, sondern auch gegen den aufgeblähten Staatsapparat und gegen die Gewerkschaften. Der Staatsapparat ist in den Augen vieler das zentrale Übel im Land: Hier demonstrierten nicht bloss betrogene Lehrerinnen und um ihren Lebensunterhalt bangende Krankenschwestern, hier demonstrierten auch jene Privilegierten, die das Land ausgesaugt hatten.«Wir werden keinen kleptokratischen Kapitalismus in diesem Land erlauben!» war ein Slogan der Beamtengewerkschaft Adedy. Die Griechen aber finden kleptokratische Gewerkschaften nicht besser. Ende letzter Woche ergab eine Umfrage der Firma Kappa Research, dass fast 80 Prozent der Griechen sich für harte Einschnitte im öffentlichen Sektor aussprachen, während 70 Prozent Gehaltskürzungen in der Privatwirtschaft ablehnen: Dort arbeiten die Leute härter und verdienen weniger.
«Bisher ist ja alles Gerede vom Sparen nur Gefühl»
Die Unsicherheit, die Angst vor der Zukunft aber hat das ganze Land erfasst. «Die Oberschicht denkt, sie kann mit dem Druck umgehen und sieht das als Chance, das Land neu zu organisieren», sagt der Unternehmer Konstantinos G. «Die kleinen Leute aber kämpfen ums Überleben. Schon jetzt müssen die meisten mit 700 Euro im Monat auskommen.» Wer mit den Athenern spricht, der bekommt das gefühl, dass die Leute den Ernst der Lage sehr wohl verstanden haben. Aber sie sind nicht nur zornig, weil sie die Lasten ungerecht verteil stehen – sie fürchten vor allem, ihre Opfer könnten umsonst sein.
Viele glauben, dass die Demonstrationen vom Mittwoch erst der Anfang war, dass die Menschen erst in einigen Wochen und Monaten sich des ganzen Ausmasses bewusst würden, in dem ihr Leben von den Füssen auf den Kopf gestellt wird. "Im Moment kommt mir Athen vor wie eine ausgebomte Stadt, in der man keine Ruinen sieht" sagte die Rechtsanwältin Theodosia Economidou am Vorabend der Ausschreitungen. "Bisher ist ja alles Gerede vom Sparen nur Gefühl, nur schöne Literatur. Aber bald werden die Leute wirklich im Geldbeutel merken….
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