Petros Markaris (1937 in Istanbul geboren) lebt als Schriftsteller und Theaterautor in Athen. International bekannt wurde er durch seine gesellschaftskritischen Kriminalromane um den Athener "Kommissar Kostas Charitos".
Heute.de: Warum sind die jungen Griechen so zornig? Was sind die Ursachen für ihre Wut?
Markaris: Es geht eigentlich um eine angehäufte Wut. Die Griechen sind zornig, weil sie seit Jahren politisch eine ausweglose Situation erleben. Sie sind entmutigt und sehr pessimistisch, weil sie keine Besserung ihrer Lebensverhältnisse erwarten. Sie zahlen immer mehr an Steuern und bekommen dafür vom Staat immer weniger. Die meisten leben auf Kredit und sie haben zunehmend größere Schwierigkeiten, ihre Kredite zurückzuzahlen. Unschuldig sind sie trotzdem nicht, da sie jahrelang über ihre Verhältnisse lebten.
Heute.de: Warum sind es gerade die jungen Griechen, die gegen die Verhältnisse protestieren?
Markaris: Die Ausweglosigkeit trifft die jungen Leute am härtesten. Sie sind mit dem Bildungsystem unzufrieden, mit den Schulen und mit den Universitäten. Und nach dem Studium sind ihre Aussichten auf ein ordentliches Berufsleben sehr gering. Wenn sie nicht in die Arbeitslosigkeit gehen, dann müssen sie sich mit Jobs begnügen, die meistens in keiner Beziehung zu ihrem Studium stehen. Sie arbeiten als Taxifahrer, als Barmen, oder nehmen Gelegenheits-Jobs an. Man nennt sie in Griechenland die junge Generation von 700 Euro.
Wenn die meisten auch mit der Gewalt nichts zu tun haben, so tolerieren sie sie, oder sie rechtfertigen sie, weil sie empört und verzweifelt sind. Es gibt junge Leute, die jahrelang nach dem Studium immer noch vom Taschengeld ihrer Eltern leben.
Heute.de: In dem Athener Stadtviertel Exarchia begannen die Krawalle, die sich über ganz Griechenland ausgebreitet haben. Warum dort?
Markaris: Exarchia ist ein Stadtteil im Zentrum, in dem sich die Anarchisten, Autonomen und Chaoten eingenistet haben. Jahrelang gab es in diesem Stadtteil einen modus vivendi zwischen der Polizei und den Anarchisten. Die Polizei hielt sich im Hintergrund und die Anarchisten vermieden es, die Polizei zu provozieren. Bis vor drei Jahren ein neuer Minister für öffentliche Ordnung es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Viertel von den Anarchisten zu säubern.
Die Anarchisten haben darauf reagiert und es gab täglich Zusammenstöße mit der Polizei. So hat sich zwischen der Polizei und den Anarchisten eine Vendetta entwickelt. Was am Samstag geschehen ist, war eigentlich vorauszusehen. Zwei Rambo-Polizisten haben die rote Linie überschritten. Es kam zu Mord an einem fünfzehnjährigen Jungen und zu den Krawallen.
Heute.de: Wieviel trägt die Polizei jetzt zur Eskalation bei? Ist sie ohnmächtig gegenüber den linksextremen Jugendlichen?
Markaris: Die griechische Polizei ist einerseits schlecht trainiert. Andererseits aber ist es auch so, dass die Bürger und vor allem die Politiker seit Jahren alle Schuld der Polizei in die Schuhe schieben. Die Folge davon ist, dass die Moral der Polizei am Boden liegt, und dass sie ihr Selbstbewusstsein verloren hat. In dieser Situation sind Überschreitungen seitens der Polizei keine Ausnahme. Ein großer Teil der Polizisten vermeidet die Eskalation, es gibt aber auch einen kleineren Teil, der seine Ohnmacht durch ein Rambo-Verhalten zu überwinden versucht.
Heute.de: Was kann die Politik tun, um den Konflikt zu entschärfen?
Markaris: Die Antwort ist einfach: Sie tut gar nichts, da sie mitschuldig und auch ohnmächtig ist. Die heutige Regierung überlebt nur mit einer Mehrheitsstimme im Parlament. Aber auch die Oppositionsparteien tragen einen großen Teil der Schuld, weil sie von der Ohnmacht der Regierung profitieren und Stimmen dazugewinnen wollen. Die Regierung wird von der Opposition zu jedem Anlass attackiert und sie unternimmt gar nichts, weil sie Angst hat, die Ein-Stimmen-Mehrheit zu verlieren.
Heute.de: Ihre Romane rund um den Kriminalkommissar "Kostas Charitos" zeigen mit dem Finger auf Korruption, Geldwäscherei in Athen – wie tief steckt Griechenland in der Krise?
Markaris: Die Korruption ist für mich das große Problem. Seit acht Jahren leben die Griechen mit Vorwürfen von Korruption und Skandalen. Nach und nach hat sich in der Bevölkerung die Gewissheit etabliert, dass eine Clique von Politikern, Funktionären und Geschäftsleuten im Kreis der Regierung sich durch Korruption enorm bereichern, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Die Griechen sind mittlerweile davon überzeugt, dass die ganze politische Klasse korrupt ist. Ein Teil von ihnen ist wütend, weil gegen die Korruption nichts unternommen wird. Ein anderer Teil ist wütend, weil sie von der Korruption keinen Anteil bekommt und aus dem Spiel gelassen wird. Dieser Gedanke ist nicht so abwegig, wenn man bedenkt, dass der Traum des Durchschnittsgriechen darin besteht, arm schlafen zu gehen und am nächsten Morgen reich aufzuwachen.
Das Interview führte Annette Klotz